Wer will gern ein „Sozialfall“ sein? Wer würde sich als „sozial schwach“ bezeichnen? Oder gar als „asozial“? Viele Begriffe, die das Wort „Sozial“ enthalten, haben etwas sehr Abwertendes.
Wenn „Sozial“ die Gesellschaft bedeutet, dann wäre sozial schwach so etwas wie „von geringer Bedeutung für die Gesellschaft“.
Man stelle sich einen Hartz-IV-Empfänger auf einem Fahrrad vor neben einem Geländewagen, den ein betuchterer Mensch fährt. Auf den ersten Blick wird man den Radfahrer als sozial schwach und den Autofahrer als sozial integriert bezeichnen. Aber völlig zu Unrecht. Der Geländewagenfahrer schafft sich eine Sicherheit im Verkehr, die zum Nachteil der anderen Verkehrsteilnehmer gerät. Durch die Panzerung ist sein Gefährt so groß und schwer, dass er beim Zusammenstoß andere erheblich verletzt oder gar tötet. Sich auf Kosten anderer zu schützen ist nicht sozial, das ist sozial schwach.
Mit einem hohen Benzinverbrauch belastet der Geländewagenfahrer die Umwelt und verbraucht übermäßig Rohstoffe. Wenn ein Teil des Benzins aus Palmöl gewonnen wird, verknappt er auch noch die Anbaufläche für Lebensmittel. Zudem werden Kriege geführt, um seinem Treibstoffhunger zu stillen. Lärm und Dreck runden seinen sozialen Beitrag ab.
Kurz: der Geländewagenfahrer lebt sehr stark auf Kosten anderer. Wie kommen wir dazu jemanden, der alles für sich haben will, dem die Sicherheit und das Wohlergehen anderer Menschen offenbar ziemlich egal ist, als sozial integriert zu bezeichnen, den Hartz IV - Empfänger hingegen als sozial schwach?
Vielleicht schafft der genannte Autofahrer ja beruflich Dinge, die für die Gesellschaft wichtig sind. Womit er die genannte Rücksichtslosigkeit mehr als kompensiert.
Warum hat dann aber zum Beispiel der Beruf einer Putzfrau eine so geringe Bedeutung, dass man sie fast zu den sozial Schwachen zählt? Ist die soziale Leistung eines Geldbesitzers, der von seinen Zinsen lebt nicht viel geringer?
In unserer arbeitsteiligen Gesellschaft ist jeder von den Arbeitsprodukten anderer Menschen abhängig. Insofern ist jeder ein Sozialfall. Ob ein Mensch im Saldo mehr leistet oder mehr beansprucht lässt sich kaum ermitteln. Denn nur ein Teil der Leistungen und nur ein Teil des Konsums lässt sich in Geld ausdrücken, und selbst hierbei sind die Preise für Leistungen und Konsum auch nicht zwangsläufig exakt richtig und gerecht.
Und selbst wenn sich der saldierte „Beitrag“ eines Menschens messen ließe, würde dies nichts über seine Zugehörigkeit zur Gemeinschaft sagen. Denn dazu gehört man weil man ein Bürger ist, egal was man produziert.
Natürlich gibt es Menschen, die in einer Gemeinschaft mehr anerkannt sind, und solche, die weniger anerkannt sind. Der Chefarzt genießt eine höhere Anerkennung als die Krankenschwester, der Professor mehr als der Student, der Redegewandte mehr als der Schweiger. Aber selbst über diese Beispiele könnte man diskutieren. Erst recht darüber, ob der General eine höhere Anerkennung verdient als ein Freiwilliger im Friedensdienst. Oder ob ein Steuerberater überhaupt etwas für das Gemeinwohl leistet (Steuern die der eine weniger zahlt, muss der andere mehr zahlen) und ein völlig erfolgloser Erfinder nicht doch viel geleistet hat (er hat etwas ausprobiert). Schon gar nicht sollte man die, die weniger anerkannt sind und weniger Macht haben als sozial schwach abwerten.
Das Grundeinkommen würde der Tatsache gerecht, dass jeder Mensch ein Sozialfall ist. Und es würde den Zusammenhang zwischen Einkommen und sozialer Stellung lockern.