Hätten schon die Römer ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen können? Oder kann so etwas erst funktionieren, wenn uns eines Tages Roboter alle Arbeit abnehmen? Was sind die gesellschaftlichen Voraussetzungen für ein bedingungsloses Grundeinkommen?
Häufig genannt werden eine hohe Arbeitslosenquote, eine hohe Produktivität, ein großer Grad am Maschinenarbeit oder auch der Überfluss von Gütern als „Bedingungen“ für ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Doch Vorsicht: Wer bestimmte Dinge als „Voraussetzung“ für ein Grundeinkommen sieht, müsste umgekehrt ein Grundeinkommen für überflüssig halten, wenn diese Voraussetzungen jetzt oder eines Tages nicht mehr zutreffen.
Hohe Arbeitslosenquote
Eine hohe Arbeitslosenquote ist keine Voraussetzung für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Rechnerisch-finanziell lassen sich ganz unabhängig von der Beschäftigungslage die klassischen Erwerbseinkommen verringern und als Grundeinkommen auszahlen. Ideell hat ein Grundeinkommen auch bei Vollbeschäftigung viele Vorteile: Freiere Berufsentscheidung des einzelnen, weniger Erpressbarkeit durch „Arbeitsplätze“ und vieles andere. Eine hohe Arbeitslosenquote ist also mitnichten eine notwendige Voraussetzung für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Die mit der Arbeitslosigkeit verbunden Probleme sind allenfalls ein zusätzlicher Faktor neben vielen andern, die ein Grundeinkommen attraktiv machen.
Hohe Produktivität
Wenn mit wenig Arbeitsstunden viel erzeugt wird, müssen bei gleichbleibenden Bedürfnissen immer weniger Menschen arbeiten, um die Bedürfnisse aller zu befriedigen. Damit die nicht mehr an der Produktion beteiligten Menschen ein Einkommen haben, liegt die Idee eines Grundeinkommens nahe.
Doch warum sollte ein Grundeinkommen nicht auch bei niedriger Produktivität funktionieren? Sobald mehr erzeugt wird, als zur Existenzsicherung aller erforderlich ist, kann man ein Grundeinkommen einführen. Und das ist schon bei wesentlich niedrigerer Produktivität als heute der Fall.
Wenn man allerdings befürchtet, dass in einer Gesellschaft mit bedingungslosem Grundeinkommen weniger gearbeitet und somit weniger hergestellt wird, dann ist eine hohe Produktivität hilfreich für ein Grundeinkommen. Denn je höher die Produktivität, desto mehr „Faulpelze“ verträgt eine Gesellschaft. Tendenziell können dann wenige Erwerbstätige genügend viel erzeugen, um alle satt zu machen. Oder anders herum formuliert: Je höher die Produktivität, desto weniger Sinn hat es, die Bürger zum Arbeiten zu zwingen – falls man das überhaupt für sinnvoll erachten kann.
Hohe Produktivität ist also ein gutes Argument für die Einführung eines Grundeinkommens und für dessen Stabilität gegen „Faulheit“. Sie ist aber keine zwingende Voraussetzung, sobald mehr erzeugt wird, als für die Existenzsicherung aller nötig ist.
Hoher Grad der Maschinisierung und Automatisierung
Die Maschinisierung und Automatisierung spielt hier nur eine Rolle, indem sie die Produktivität steigert. Somit ist dies kein zusätzliches Argument. Ob die hohe Produktivität durch Roboter, Arbeitsorganisation oder Fleiß entsteht ist belanglos.
Geldwirtschaft
Rein theoretisch könnte man sich auch
ein Grundeinkommen ohne Geldwirtschaft vorstellen. Jeder würde –
grob vereinfacht – kostenlos jeden Tag eine Essenskiste erhalten,
einen Schlafplatz und etwas Kultur. Allerdings liegt es bei
Naturalien viel näher, diese nach Bedürftigkeit zu verteilen (was
will der Reiche mit einer gestellten Schlafunterkunft?).
Logistisch
wäre es zudem ein riesiger Aufwand, wenn die Gesellschaft erst die
Produkte einsammeln und dann wieder an alle verteilen müsste.
Kurzum: Ein Grundeinkommen in unserem modernen Sinn ist nur in einer
Gesellschaft mit Geld denkbar, in einer Gesellschaft, in der die
Grundbedürfnisse überwiegend durch Geldeinsatz gestillt werden. Das
ist bei uns heute der Fall, das war aber im römischen Reich sicher
überwiegend nicht der Fall, auch wenn es damals schon ein Münzwesen
gab.
Hoher Grad der Arbeitsteilung
In einer Subsistenzwirtschaft, in der jeder Haushalt die Produkte selbst erzeugt und selbst verbraucht, hätte ein Grundeinkommen keine Legitimation. Es würde keinen Sinn ergeben, das, was jeder für sich erzeugt „unnatürlich“ an eine Zentralstelle abzugeben, die das Gesammelte dann wieder an alle verteilt. In Geld könnte man das Grundeinkommen ohnehin nicht auszahlen, da eine Selbstversorgungswirtschaft kein Geld braucht und es auch nicht hat. Je höher aber der Grad der Arbeitsteilung ist, desto mehr kann der Einzelne nur noch als Teil eines Wirtschaftssystems existieren. Und desto mehr kann man der Ansicht sein, dass jedes Mitglied der Gesellschaft ein Grundeinkommen benötigt, damit es sich optimal einbringen kann.
Bedingungslose Anerkennung der Würde des Menschens
Nur Gesellschaften, welche die Würde des Menschens als hohes Gut ansehen, werden zu einem bedingungslosen Grundeinkommen finden. Gesellschaften, in denen der Mensch nur Mittel zum Zweck ist, werden kein Problem damit haben, das Existenzrecht an Bedingungen knüpfen. Eine Gesellschaft, die nicht jedem zugesteht, selbst den richtigen Weg für sich und seinen Beitrag zum Gemeinwohl zu finden, wird sich nie für die Idee eines Grundeinkommens erwärmen können, sondern lieber dem Einzelnen ihre Regeln aufzwingen. Undemokratische Gesellschaften, die das Wohl der Gesamtgesellschaft nicht in den Ermessensspielraum jedes Einzelnen stellen, werden schon gar nicht zum Grundeinkommen finden können.
Zwischenfazit: Hohe Produktivität und hohe Arbeitslosigkeit sind für die Einführung eines Grundeinkommens förderlich, aber keineswegs zwingende Voraussetzung. Eher ist es die überwiegende Deckung der Bedürfnisse durch Geld. Das Geldwesen ist aber letztlich nur eine Begleiterscheinung einer ganz wesentlichen Bedingung: Der sehr hohe Grad der Arbeitsteilung. Zusätzlich muss noch eine Stimmung in der Gesellschaft herrschen, die dem Bürger Verantwortlichkeit und Freiheit zugesteht.
Somit hätte ein Grundeinkommen bis hin ins 19. Jahrhundert keinen Platz gehabt, alleine schon wegen des noch hohen Grades der Selbstversorgung, aber auch mangels der Bereitschaft, dem einzelnen Bürger das Schicksal der Gesellschaft in die Hand zu legen.
Ab den 1950er Jahren waren diese Voraussetzungen in Deutschland erfüllt: Eine arbeitsteilige Gesellschaft und der Abschied von autoritären Strukturen. Nichts hätte damals dagegen gesprochen, ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen. Außer einem letzten wichtigen Faktor: Es muss ein gewisser Leidensdruck herrschen, dass man es ohne ein Grundeinkommen nicht mehr aushält. In den Zeiten des Wirtschaftswunders hat aber kein Mensch das Grundeinkommen vermisst. Doch mit zunehmender Arbeitsteilung, flankiert von hoher Arbeitslosigkeit und mit einer steigenden Sensibilität für die Freiheit des Menschens wird der Leidensdruck steigen. Spätestens wenn es die Bürger nicht mehr anders aushalten, ist die Gesellschaft reif für ein bedingungsloses Grundeinkommen.