Viele an Anthroposophie interessierte Menschen sehen ein bedingungsloses Grundeinkommen als die zeitgemäße Umsetzung dessen an, was Rudolf Steiner vor über 100 Jahren für das soziale Leben angeregt hätte. In einer kleinen Broschüre mit dem Titel „Rudolf Steiners bedingungsloses Grundeinkommen?“ setzt sich Coiplet kritisch mit dieser Einschätzung auseinander. Auch und gerade für Grundeinkommens-Begeisterte Menschen, die mit Steiner und Anthroposophie nicht viel am Hut haben, stellt dieser Text wichtige Fragen.
Steiner hat 1905 ein „soziales Hauptgesetz“ prostuliert in dem es sinngemäß heißt, dass es uns um so besser ginge, je mehr jeder von der Arbeit anderer Menschen lebe und je mehr Einkommen und Arbeit getrennt würden. Und weil das bedingungslose Grundeinkommen eben nicht die Arbeit als Bedingung habe, sehen hier viele Menschen einen Zusammenhang.
Coiplet erwidert: Das soziale Hauptgesetz von 1905 war nur ein erster grober Aufschlag von Steiner, der viele Möglichkeiten der Fehlinterpretationen hätte: Von der gemeinsamen Kasse für alle über die Ansicht, dass weltweite Arbeitsteilung schon genau das sei, auf das Steiner hinaus will oder, als weitere Fehlinterpretation, eben das bedingungslose Grundeinkommen.
Dabei habe sich Seiner 14 Jahre später, im Jahr 1919 in seinem Buch „die Kernpunkte der sozialen Frage“ viel konkreter geäußert. Da weist er nämlich darauf hin, dass der Gegenwert der Arbeit so hoch sein muss, dass der Arbeitende daraus seine Bedürfnisse stillen könne. Und Steiner sagt, dass dies ganz eng zusammenhänge mit der Frage der Preisverhältnisse.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen rühre die grundsätzlichen Verhältnisse nicht an: Die Firmen sollen ruhig weiter ihre Gewinne maximieren, jeder einzelne soll einen möglichst hohen Lohn für sich herausschlagen. Und vor den daraus resultierenden Missständen, soll uns dann der Staat mit mit dem Grundeinkommen retten. Aber ansonsten soll bei den heutigen Wirtschaftsverhältnissen alles so bleiben wie es ist. Für den Wirtschaftssektor sei das bedingungsloses Grundeinkommen also schon mal keine befriedigende Antwort auf die Frage, wie wir miteinander wirtschaften.
Vielleicht ist das bedingungsloses Grundeinkommen ja im Bereich des Rechtes wegweisend. Im rechtlichen Bereich geht es darum, dass wir in den Gefühlen gegenseitig uns auf einen gemeinsamen Nenner einigen. Nicht umsonst reden wir von „Rechtsempfinden“. Aber die Befürworter eine bedingungslosen Grundeinkommen blenden die Gefühle der Menschen aus. Wenn ich für mein Einkommen arbeiten muss und ein anderer nicht, dann verletzt das das Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen. (Anm. SB: bei den Einkünften aus reinen Besitzverhälntissen wie Aktien oder Immobilien hat sich unser Rechtsempfinden aber daran gewöhnt).
Das Rechtsempfinden wird auch verletzt, wenn Menschen unfreiwillig arbeitslos werden, und somit nichts mehr arbeitend beitragen können. Daran würde ein Grundeinkommen ebenfalls nichts ändern. Es gäbe auch mit einem Grundeinkommen unfreiwillig Arbeitslose, nur dass ihnen dann nicht komplett das Einkommen wegbricht. Also auch Fehlanzeige im Bereich des Rechtlichen. Bestenfalls kaschiere ein Grundeinkommen ungerechte Verhältnisse mit Geldzahlungen. Es verhindert so den eigentlich nötigen Prozess: Dass die Gefühle der Menschen wirklich aufeinander prallen und so zu rechtlichen Vereinbarungen führen.
Bleibt noch das Gebiet der Kreativität und des Individuellen. Hier geht Coiplet hart ins Gericht mit einer der Lieblingsthesen der Grundeinkommensbefürworter. Diese glauben, mit einen bedingungslosen Grundeinkommen würde die Kreativität der Menschen freigesetzt, was ja der Gesellschaft als Ganzes wieder zu gute käme. Coiplet wirft ein, dass der Wunsch nach Selbstverwirklichung und Kreativität ja zunächst ein ganz egoistisches Bedürfnis sei. Dieses ist natürlich da und ist berechtigt. Allerdings habe Steiner ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Unterstützung der Kreativität ausschließlich durch konkrete andere Menschen erfolgen kann, die diese Kreativität und Begabung persönlich anerkennen und mit eigenen Mitteln unterstützen. Keineswegs darf es der Staat sein, der die Mittel für die persönliche Entfaltung verteile.
Insgesamt bringe das Grundeinkommen also weder im wirtschaftlichen, noch in rechtlichen noch im sogenannten Geistesleben tragende Impulse. Im Gegenteil, es verhindere durch seine Gedankenlosigkeit wichtige Entwicklungen. Es sei eben viel bequemer, nach einem bedingungslosen Grundeinkommen zu rufen, anstatt den anstrengenden Weg zu gehen, in den drei genannten Bereichen (gerechter Austausch der Arbeitsleistungen, ein lebendiges Rechtsleben, die persönliche Entwicklung der Menschen) um Fortschritte zu ringen.
Coiplet belegt alle seine Aussagen mit ausführlichen Zitaten und Quellenangaben.
Ich würde mir wünschen, dass Grundeinkommensbefürworter den Mut haben, in den Spiegel dieser äußerlich unscheinbaren Broschüre zu blicken.
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Sylvain Coiplet: Rudolf Steiners bedingungsloses Grundeinkommen?“ Schriftenreihe „Paradoxien“, vom Institut für soziale Dreigliederung. September 2013. https://www.dreigliederung.de/essays/2007-04-100