Gut durchdachte Ansichten, wie dem Guten mehr Raum gegeben werden kann, verspricht die Umschlagseite des Buches „Die Kunst, kein Egoist zu sein” von Richard David Precht. Im dreizehnten Kapitel soll es darum gehen „wie Verantwortung in die Wirtschaft kommt“.
Leider findet sich auf den dreizehn Seiten dieses Kapitels keine einzige gut durchdachte Ansicht, sondern populistisches Gerede, das bei näherer Betrachtung in sich zusammenbricht. Einige Beispiele:
Seitenlang wettert Precht gegen die Verschuldung von Staaten, Firmen und Bürgern. Seine Lösung: Mehr sparen. Dass Sparanlagen und Schulden nur die beiden Seiten derselben Medaille sind, entgeht dem Philosophen.
Dieses Sparen will Precht dem seiner Meinung nach unmündigen Bürger dadurch schmackhaft machen, dass Gehaltserhöhungen nicht ausgezahlt, sondern für die Altersvorsorge angespart werden. Gehaltserhöhungen kann es jedoch nur geben, wenn die Wirtschaft wächst. Das Wachstum der Wirtschaft macht P. jedoch ein paar Seiten vorher als ein zu beseitigendes Grundübel aus. Ein logischer Widerspruch. Ganz abgesehen davon, dass der große Systemkritiker Precht mit diesem Vorschlag zur kapitalbasierten Altersvorsorge der Kampagne der Versicherungslobby auf den Leim gegangen ist, die das umlagebasierte Rentensystem zu ihren Gunsten aushöhlen will.
P. schlägt vor, dass Banker mehr spenden sollen für soziale Zwecke und verspricht den Bankern großzügig ein beglückendes Gefühl. Eine andere Finanzierung des Sozialwesens schlägt er nicht vor. Somit setzt er voraus, dass Banker viel verdienen, damit das Sozialwesen funktioniert. An andere Stelle prangert er den hohen Verdienst „der“ Banker an, den er hier zur Grundlage seiner Vorschläge macht. Wieder ein logischer Fehler.
P. fordert eine persönliche Haftung von Managern. Das setzt voraus, dass Manager reich sind. Warum aber sollen nur reiche Menschen managen dürfen? Offenbar will P. nicht daran rütteln, dass Manager viel verdienen.
Wie kommt es, dass der Autor sich dermaßen in seiner Argumentation verheddert? P. geht von einem Dualismus von Wirtschaft und Staat aus. Aufgabe des Staates sei es, die Wirtschaft zu kontrollieren und in ihre Schranken zu weisen.
Doch dieses Modell funktioniere immer weniger. Prechts Analyse, warum das Konzept der sozialen Marktwirtschaft nicht mehr klappt (oder ob es jemals wirklich geklappt hat) ist leider sehr dürftig. Er entwickelt keine Begriffe, sondern stellt Behauptungen auf.
Precht prangert die Macht der Wirtschaft an. Die Macht der Wirtschaft sei so groß, dass sie vom Staat nicht mehr richtig kontrolliert werden könne. Andererseits fordert er, dass der Staat die Wirtschaft kontrollieren soll. Wieder ein logischer Widerspruch.
Doch letztlich sieht P. die Gründe für das Nicht-Funktionieren der sozialen Marktwirtschaft im Fehlen eines echten Verantwortungsgefühls (24).
Um dieses echte Verantwortungsgefühl herbeizuführen fällt P. nichts anderes als Vater Staat ein, kann ihm in seinem dualistischen Denken gar nichts anderes einfallen. Nur mit dem Staat sei dieses echte Verantwortungsgefühl herbeizuführen (29). Unter anderem wird vorgeschlagen:
Der Staat soll ein Bonus und Malus-System für Manager einführen(25) . P. übersieht: Mit solch einem System würde man gezielt an den Egoismus der Manager appellieren, die dann natürlich versuchen würden, diese Punkte für sich zu sammeln. So erzeugt man sicherlich genau das Gegenteil von echtem (!) Verantwortungsgefühl.
Das Verantwortungsgefühl will P. mit staatlichen Strafen herbeiführen bei denen, die es nicht zeigen (25)
Lohnobergrenzen für Manager soll der Staat ebenfalls garantieren.
Eine Anerkennungskultur (28) soll der Staat schaffen
Der Staat soll Fairness garantieren (36)
Der Staat soll zur Selbsterkenntnis trainieren (36)
Zur Erinnerung: Das Buch trägt nicht den Titel „Die Kunst, einen totalitären Staat zu errichten“ sondern „Die Kunst, kein Egoist zu sein“. Doch nach 409 Seiten kann sich P. dies nicht anders vorstellen als darin, dass der Staat „seine Bürger klug erzieht“. Ganz offensichtlich will P. einen Staat, der den besseren Menschen heranzüchtet.
Und erledigen soll diesen Erziehungsjob ausgerechnet ein Staat, der laut P. noch nicht einmal in der Lage ist, vernünftige Steuergesetze zu erlassen. Der Staat, der laut Precht die Kontrolle verloren haben, der ziellos hin- und her agiere dieser Staat soll nun auf einmal der Motor für ein neues Verantwortungsgefühl sein.
Schlimmer noch. Mit dem Ruf, dass der Staat die Moral retten soll gibt P. der Demokratie den Gnadenstoß.
Ein ökologischer Rat von unabhängigen Sachverständigen soll ein Vetorecht gegen Regierungsentscheidungen haben. Damit hebelt Precht die Demokratie aus und bahnt einer Technokratie den Weg.
Der Staat soll die Menschen vor sich selbst schützen (39).
Es sei ein politisches Ziel, aus Kunden Bürgen zu machen. Somit stellt er die Demokratie auf den Kopf: Nicht die Bürger bestimmten den politischen Staat, nein, der Staat ist es, der die Bürger erst erzeugen soll!
Vor allem: Kann es in einer Demokratie Aufgabe der Politik sein, Gefühle zu erzeugen?
Dabei haben Prechts Ausführungen einen wahren Kern. Ja, es gibt Kräfte, die sehr viel Macht errungen haben und ja, diese Kräfte nutzen diese Macht überwiegend dazu, ihre eigene Macht immer weiter zu stärken. Und ja, sie zehren dabei von etwas, was man als Moral, als Vertrauen, als Bildung usw. bezeichnen kann.
Es fehlt also eine Instanz, die diese verzehrten Ressourcen entstehen lässt und immer wieder neu aufbaut. Die Falle, in die P. ständig läuft, liegt darin, diese Instanz in der Politik zu suchen. Das kann aber nicht gehen. Der politische Staat kann so etwas wie den kleinsten gemeinsamen Nenner darstellen, nie wird der Staat Werte erzeugen, die Bürger erziehen usw. Und falls ihm dieses gelänge, würde er an den Grundfesten der Demokratie nagen, die den Bürger als Träger des Staates sieht und nicht anders herum! Ebenso kann der politische Staat nicht selber wirtschaftliche Aufgaben übernehmen, wie P. an anderer Stelle fordert, ohne in einen Konflikt zu kommen bei der Kontrolle der Wirtschaft
Diese fehlende Instanz müsste etwas sein, was sowohl unabhängig von der Wirtschaft ist als auch unabhängig vom politischen Staat. Diese Instanz müsste aus ihrer eignen Freiheit heraus Impulse liefern, die die Bürger in ihrer Freiheit aufgreifen können oder eben auch nicht.
Doch P. kann sich diese Instanz nur im Staat vorstellen. Hilflos pendelt er zwischen Kommunismus „Marx und Engels sind nicht schuld“ und Kapitalismus „es gibt keine Alternative“ hin und her, zwischen der Entscheidung, ob der Mensch den Menschen unterdrücken soll oder anders herum. Immer geht es um Macht. Sämtliche Vorschläge von P. sind machtbasiert, nur eben nicht auf der Macht der Wirtschaft sondern auf der Macht des Staates. Der Staat soll mit seiner Macht die Wirtschaft kontrollieren und obendrein noch den Bürger erziehen. Damit ändert er aber überhaupt nichts an der Dynamik, dass Macht den Machtmissbrauch provoziert, aus dieser Spirale kommt P. nicht heraus.
Bei all den vielen Zitaten hat P. wichtige Positionen weggelassen, wie zum Beispiel die Idee der sozialen Dreigliederung oder den Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens. Viele Dinge, die P. bemängelt, würden sich durch ein bedingungsloses Grundeinkommen lösen: Kein Wachstumszwang mehr, die teilweise Entmachtung der Reichen, weil sie die Bürger nicht mehr zum Arbeiten zwingen können. Mehr Raum für freies bürgerschaftliches Engagement und damit wieder ein Ausgleich für das, wovon nach P. die Wirtschaft zehrt. Eine Entlassung des Staates aus vielen seiner Korrekturaufgabe und damit weniger Fehler und Widersprüche bei solchen Korrekturversuchen.
Immer wieder spricht P. die Machtverhältnisse als ein grundlegendes Problem an. Doch bietet er weder einen Ansatz, wir der Macht beizukommen sei, noch analysiert er, wie diese Macht entsteht. Warum spricht er überhaupt von einer Wirtschaftskrise und nicht von einer Staatskrise oder einer Demokratiekrise? Denn davon, dass die Wirtschaft eine ernsthafte Krise hätte, kann doch eigentlich keine Rede sein, wenn wir uns den von P. selbst konstatierten Überfluss an Produkten ansehen.
Precht trennt zwischen Wirtschaft und Gemeinwohl. Dass das Gemeinwohl eben genau darin liegt, dass die Wirtschaft Produkte erzeugt, dass der Banker Bankgeschäfte koordiniert, dieser Gedanke ist P. völlig fremd. Soziales Wirken einer Bank kann er sich nur darin vorstellten, dass diese einen Teil (!) ihrer Überschüsse in sogenannte soziale Aktivitäten steckt. P. sieht das Gemeinwohl als Zusatz, als Almosen, nicht als Kern und Sinn des Wirtschaftens.
Ist die Lektüre wenigstens unterhaltsam? P. sammelt Zitate, wie andere Leute Briefmarken. Im Gegensatz zu jenen ordnet P. diese Zitate leider nicht, es ist kaum ein roter Faden zu erkennen. Zusammengekittet wird dieses Textbrocken-Trümmerfeld mit populistischen Worthülsen wie „gespenstische Verhältnisse“, „dramatisch“, „erschreckend“, „leichtfertig“, „bankrottes System“ (41), „horrende Preissteigerungen“, „Wut der Kritiker“ (30), „Machenschaften“ und „Gier“. Ständig ist die Rede von Managern und Bankern, also ob die Wirtschaft nur aus diesen bestehe. Das Leichte an der Lektüre liegt darin, dass der Leser selber gar nichts ändern muss, der Staat soll „den“ Managern und „den“ Banken und auch uns Bürgern ein echtes Verantwortungsgefühl antrainieren, der Leser selber muss nichts tun, schon gar nicht sich klare und tragfähige Gedanken über unsere Gesellschaft machen.